Reinventing work - vom Konflikt zur sinnstiftenden Organisation

Einleitung

Sie möchten erste Schritte zu einer neuen Kultur der Arbeit machen? Sie möchten Arbeit in ihrer Organisation sinnstiftender gestalten, z.B. im Sinne von Frederic Laloux? Aber sie wissen nicht genau, wo sie anfangen können? Dann schauen sie sich an, wo Konflikte liegen. Ihre eigenen und die kollektiven Konflikte in der Organisation. Fangen sie da an, wo der „Schuh am Stärksten drückt“. Der „drückende Schuh“ gibt den Weg vor.

Die Katalysatorfunktion von Konflikten

Konflikte haben inne, dass sie unangenehm sind, da widerstreitende Interessen, Erwartungen und Meinungen bestehen, die sich häufig als unlösbar anfühlen. Solange das Gefühl der Unlösbarkeit bestehen bleibt, wird weiter versucht, den Konflikt zu vermeiden (Nichtansprechen, Kontrollieren der Leitung usw.). Damit wird eine Kultur der Intransparenz, der Nichtöffnung, des Misstrauens und des Wettbewerbs unter Kollegen gestärkt.

Anders verhält es sich, wenn wir Konflikten ihren evolutionären Charakter zugestehen, und sie als Zeichen von Lebendigkeit ansehen. Denn das Leben und die Naturgesetze bestehen aus sich unterscheidenden Polen, deren Reibung Energie erzeugt (zum Beispiel das Gesetz der Schwerkraft zum Gesetz der Fliehkraft). Im Fluß ist unser Leben, wenn wir es schaffen, die verschieden Pole in Balance zu bringen und diese zu halten.

Nicht anders ist es mit Konflikten. Sie schaffen Reibung und sind Zeugnis, dass verschiedene Interessen nicht in Balance sind. Die Ausbalancierung dieser Interessen schafft einen Fluß, der ihre Organisationskultur zu sinnhafter Arbeit befähigt.

Wie kann eine Ausbalancierung von Interessen in Organisationen gelingen?

Den Vorgang des Ausbalancierens möchte ich anhand von mehreren Schritten beschreiben. 

Zunächst ist der Schritt der Anerkennung und Annahme von Konflikten nötig. Was passiert, wenn wir diesen Schritt nicht gehen, kennen wir alle: Vermeidung führt zu Flucht, und das zu Unterdrückung. Anders ausgedrückt: wenn ich als Führungskraft nicht anerkenne, dass Mitarbeiter eine andere oder sogar konträre Meinung haben, und ich sie nicht zulasse oder sogar aktiv abschneide, indem ich nicht zuhöre (Flucht), wird der Mitarbeiter mir auf Dauer zeigen, dass er mich nicht mag, beziehungsweise er mit mir ein Problem hat. Ich werde sein Verhalten dann (möglicherweise) als unfreundlich empfinden und ihn dann bei nächster Gelegenheit als „unqualifiziert“ (alle negativen Bewertungen im Arbeitskontext sind hier möglich) abwerten (Unterdrückung). Das wird dann im weiteren Verlauf unser Verhältnis tiefergehend stören, mit Folgen wie aktivem Schneiden, hinter dem Rücken reden, Nichtbeförderung etc.

Der gleiche Vorgang ist bei der Arbeit mit Gruppen oder auch in der Politik zu erkennen. Das Nichtzulassen von Unterschiedlichkeiten (Meinungen, Interessen, Herkunft, usw.) führt zu Konflikten.

Wenn wir in unserem Team aber die unterschiedlichen Meinungen erkennen, anhören und sie zumindest nicht als grundsätzlich „falsch“ bewerten (sondern als eine andere Perspektive), schaffen wir Akzeptanz der unterschiedlichen Pole und damit ein lebendiges Feld. 

Im zweiten Schritt schaue ich mir als Führungskraft die Interessen hinter den unterschiedlichen Meinungen an. Interessen sind die Motive, die Gefühle oder Bedürfnisse hinter Meinungen oder Verhalten. Der Mitarbeiter, den ich eben noch abgewertet habe, hatte natürlich genauso wie ich bestimmte Interessen hinter seiner Meinung und seinem Verhalten. Häufig sind das tiefe menschliche Bedürfnisse wie Anerkennung und Sicherheit, oder aus Gefühlen wie Wut oder Angst motiviert.

Die Erkenntnis der Menschlichkeit eines jeden Verhaltens wird dann zu einer Verständigung führen, wenn sich die Handlungsmotive des Mitarbeiters mit mir als Führungskraft ähneln, also unsere Interessen gleich sind, sogenannte „Common Interests“. In jedem Konflikt bestehen sogenannte „Common Interests“, zumeist werden sie jedoch nicht sichtbar gemacht. Ein Erkennen dieser gleichen Interessenlage steigert gegenseitiges Verständnis und führt dazu, dass gemeinsam geschaut werden kann, wie diese gemeinsamen Interessen auch Befriedigung finden können. 

In diesem Moment entsteht ein Feld, indem der Fokus auf den Vorgang des Ausbalancieren gerichtet ist, und nicht mehr auf Vermeidung oder sogar Unterdrückung. Dieser gemeinsame Vorgang bildet die Basis für eine Kultur des Wir, die Offenheit (Bedürfnisse und Gefühle werden transparent) und somit Vertrauen stärkt. 

Vom Ausbalancieren zum Sinn

Der gemeinsame Prozess der Verständigung im Konfliktfall schafft bei einer Vertiefung hin zu den gemeinsamen Interessen ein weit höheres Potential, als häufig vermutet wird. 

Zum einen findet ein Perspektivwechsel vom „Ich werde nicht gesehen“ zum „Wir können gemeinsam unsere Interessen befriedigen“ statt, der den Fokus vom Ich oder auch Ego auf das Kollektiv ausrichtet.

Zum anderen werden Kräfte mobilisiert, weil Synergien geschaffen werden womit eine deutlich höhere Kreativität geschaffen wird, was allgemeinen auch als „die Chance“ oder „das Potential von Konflikten“ beschrieben wird. Diese Kraft ermöglicht Lösungen zu finden, die Antworten auf Komplexität und Interdependenz finden können.

Diese Kraft entsteht, wenn das Kollektiv auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist. Anders ausgedrückt: wenn die Pole in Balance, bzw. im Fluß sind, können sie eine höhere Energie entwickeln.

Die Erfahrung der Wirkraft schafft für viele Menschen ein Verständnis, das die Zuverfügungstellung meiner Kraft zu einem größeren Ganzen gewinnbringend für alle ist. Das ermöglicht eine Bewusstseinserweiterung, die zur Öffnung der Sinnfrage aus meiner Sicht entscheidend sein kann.  

Und nichts anderes passiert, wenn eine Organisation sich aufstellen möchte, sinnhaft zu handeln, und so den Sinn einer Organisation zu entwickeln, der der Leitfaden der Organisation darstellen soll. Die Ausrichtung des Kollektivs auf den gemeinsamen Sinn, fördert die oben beschriebenen Kräfte.

Zusammenfassung

Die beschriebenen Schritte der Konfliktbearbeitung bedürfen Zeit, Widmung und eine gewisse Konsequenz. Es reicht nicht, dies einmal zu proben. Vielmehr bedarf es zunächst einer Widmung hin zu einer vertieften Konfliktbearbeitung, und später des Erfahrungsgewinns einer kritischen Masse innerhalb der Organisation, um ein oben beschriebenes Wir-Gefühl zu erreichen. Diese Kraft kann aus Konflikten mobilisiert werden, weshalb für mich die evolutionäre Katalysatorfunktion von Konflikten so entscheidend ist.

Zusammengefasst heißt das für ihren Organisationsentwicklungsprozess: wenn sie konsequent, z.B. anhand der oben beschriebenen drei Schritte, Konflikte bearbeiten, stellen sie die organisationskulturellen Grundlagen (Offenheit, Vertrauen), die handwerklichen Grundlagen (Konfliktbearbeitung), und die erfahrungstechnischen Grundlage (Vom Ich zum Wir, die Kraft des Kollektivs bei gemeinsamer Ausrichtung), um ihre Organisation sinnstiftend auszurichten. 

Mehr zur Einführung einer sinnstiftenden Kultur in Organisationen finden sie bei unserem Seminar Reinventing Work oder hier.

Martin Michaelis